Für den Sachbearbeiter oder den begutachtenden Arzt, der über keine umfassenden Erfahrungen mit den Ergebnissen der Begutachtung und der Bemessung nach der Gliedertaxe (der privaten Unfallversicherung) verfügt, sind die Anlagen zur Invalidität oftmals verwirrend.

In der Gesetzlichen Unfallversicherung bestehen derartige Schwierigkeiten nicht: Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wird in Prozenten angegeben, dabei sollen nur Zehner-Werte verwendet werden: Somit beträgt die MdE 10 v. H.; 20 v. H.; 30 v. H. etc. Diese Werte erklären sich von selbst. In dem seit 1.1.1997 gültigen SGB VII, „Gesetzliche Unfallversicherung“, wird die MdE im § 56.2 definiert, sie „richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens“.

Dagegen ist die Invalidität in der privaten Unfallversicherung nach der Gliedertaxe im Versicherungsvertrag bindend festgelegt. Nach den Musterbedingungen der AUB (Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen) 2020 des GDV (Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft) gelten folgende Gliedertaxwerte:

Bei Verlust oder vollständiger Funktionsunfähigkeit der folgenden Körperteile oder Sinnesorgane gelten ausschließlich die hier genannten Invaliditätsgrade

 

Arm
70%
Arm bis oberhalb des Ellenbogengelenks
65%
Arm bis unterhalb des Ellenbogengelenks
60%
Hand 55%
Daumen
20%
Zeigefinger 10%
anderer Finger
5%
Bein über der Mitte des Oberschenkels
70 %
Bein bis zur Mitte des Oberschenkels 60%
Bein bis unterhalb des Knies 50%
Bein bis zur Mitte des Unterschenkels 45%
Fuß 40%
große Zehe 5%
andere Zehe 2%
Auge 50%
Gehör auf einem Ohr 30%
Geruchssinn 10%
Geschmackssinn 5%

Bei Teilverlust oder teilweiser Funktionsbeeinträchtigung gilt der entsprechende Teil der genannten Invaliditätsgrade.

Neben den Fingern und der Hand sind vor allem Arme und Beine von Verletzungen betroffen. Der Verlust von einem Arm bzw. Bein wird jeweils mit 70% der Versicherungssumme entschädigt. Ist die Hälfte der Funktion verloren gegangen, so beläuft sich die Invalidität auf ½ Arm- oder Beinwert (35%).

In den Versicherungsbedingungen wird als Beispiel eine Gebrauchsbeeinträchtigung des Arms von 1/10 angegeben:

„Beispiel: Ist ein Arm vollständig funktionsunfähig, ergibt das einen Invaliditätsgrad von 70%. Ist er um ein Zehntel in seiner Funktion beeinträchtigt, ergibt das einen Invaliditätsgrad von 7% (= ein Zehntel von 70%)“

Warum werden Invaliditätsgrade in Zwanzigstel ausgewiesen?

Das Beispiel von einem Zehntel ist gut zu verstehen. Da der Sachverständige oftmals nur geringe Beeinträchtigungen feststellen kann, ist das Raster der Bewertung von Gliedmaßenschäden in Zehnteln jedoch zu grob.

Schon 1964 schlug der Chirurg W. Perret in dem Buch „Was der Arzt von der privaten Unfallversicherung wissen muss“ (München, Verlag Barth) vor, auch Invaliditätsgrade von 1/20 auszuweisen. Dieser Gedanke wurde von F. Schröter und M. Fitzek aufgenommen. In der 4. Auflage (2004) des von G. Rompe herausgegebenen Standwerkwerks „Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane“ heißt es: „Es entspricht einem weitestgehend akzeptierten Konsens der maßgeblichen Autoren, möglichst nur noch tabellarische Bewertungsempfehlungen zu erarbeiten, die durchweg in 10er-Werten – mit erlaubten Zwischenwerten in 1/20-Werten – aufgebaut sind, damit auch eine gedanklich leichter nachvollziehbare Abstufung im Rahmen der praktischen Begutachtung erlauben.“

Die Abstufung der Invaliditätsgrade in Zwanzigstel-Schritten hat sich durchgesetzt und wurde von L. Ludolph übernommen (Invalidität in der privaten Unfallversicherung, aktuell 6. Auflage). Die aktuellen Bemessungsempfehlungen der „Sektion Begutachtung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie“ weisen Zwanzigstel-Invaliditätsgrade aus.

Bei einem Arm- oder Beinwert von 70% entspricht 1/20 dann 3,5% der Versicherungssumme. Nun kann man sich die jeweiligen Werte umrechnen und erhält dann den prozentualen Invaliditätsgrad.

Die folgende Tabelle erleichtert die Abschätzung der jeweiligen Invalidität und der Plausibilitätskontrolle sowohl für die Begutachtenden als auch für Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter. Sie ist so formatiert, dass sie ganzseitig ausgedruckt werden kann:

Umrechnungstabelle von Zwanzigstel-Invaliditätsgraden auf die versicherte Summe

Funktionsstörung in Bruchteilen der Invalidität von Arm/Bein Bei einem Invaliditätswert von 70% für Arm /Bein ergibt sich Umgerechnet auf 100% der Versicherungssumme folgende prozentuale Teilinvalidität Auszuzahlender Betrag bei 100.000 € Versicherungssumme
1/20 3,5% 3.500 €
2/20 7% 7.000 €
3/20 10,5% 10.500 €
4/20 14% 14.000 €
5/20 17,5% 17.000 €
6/20 21% 21.000 €
7/20 24,5% 24.500 €
8/20 28% 28.000 €
9/20 31,5% 31.500 €
10/20 35% 35.000 €
11/20 38,5% 38.500 €
12/20 42% 42.000 €
13/20 45,5% 45.500 €
14/20 49% 49.000 €
15/20 52,5% 52.500 €
16/20 56% 56.000 €
17/20 59,5% 59.000 €
18/20 63% 63.000 €
19/20 66,5% 66.500 €

Prof. Dr. Klaus-Dieter Thoman
Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Rheumatologie, Sozialmedizin