Da die Ursachen der Erkrankung noch nicht abschließend geklärt sind und die Beschwerden vielfältig sind, ist die Begutachtung von Post-COVID-Erkrankten eine besondere Herausforderung. Dies wurde ausführlich während eines Symposiums am 14.06.2023 in Frankfurt am Main unter Beteiligung von Prof. Tegenthoff, BG-Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum, Michael Marx, stellvertretender Geschäftsführer BV Magdeburg, Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, und Dr. Juliane Müller, Klinik für Psychiatrie, Post-Covid-Ambulanz, Universitätsklinikum Frankfurt am Main, diskutiert.

Die Pandemie hat uns in den letzten drei Jahren geprägt, hat Ängste geschürt und zur Vereinsamung geführt, und letztlich sind viele Menschen als Folge der Infektion gestorben.

Die Berufsgenossenschaften haben fast 120.000.000 Euro COVID-bedingt ausgegeben. COVID-19 kann als Berufskrankheit oder als Arbeitsunfall in der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannt werden; Voraussetzung hierfür ist der ursächliche Zusammenhang zwischen der Infektion und der beruflichen Tätigkeit. Außerhalb der gesetzlichen Unfallversicherung ist die Erkrankung auch bedeutsam für die Kranken- und Krankentagegeldversicherung und die private Berufsunfähigkeitsversicherung. Rechtlich werden letztlich die Gerichte entscheiden welche Krankheitsfolgen anerkannt werden.

Definition, Risikofaktoren und Symptomatik des Post-COVID-Syndroms

Long-COVID bezeichnet eine verzögerte Rekonvaleszenz mit anhaltenden Symptomen bis zu 12 Wochen nach der Infektion; das Post-COVID-Syndrom beinhaltet Symptome die länger als 12 Wochen und dann mindestens zwei Monate bestehen. Der Verlauf kann persistierend, rezidivierend oder fluktuierend sein. Eine Verschlechterung der Beschwerdesymptomatik im Verlauf ist allerdings unüblich für eine Infektion und spricht eher für eine andere, womöglich seelische Ursache der Beschwerden. Andere Ursachen der Beschwerden müssen laut WHO-Kriterien ausgeschlossen sein.

Der Erkrankungsmechanismus ist unklar; in der Wissenschaft werden verschiedene Ursachen wie eine Veränderung des Immunsystems mit Reaktivierung von Viren und Bildung von Auto-Antikörpern, Entzündungen und Durchblutungsstörungen mit Schlaganfällen bzw. Mikrothromben diskutiert. Laut aktuellen Studien ist das Risiko, einen Schlaganfall oder eine Hirnvenenthrombose zu erleiden, im ersten Jahr nach einer SARS-CoV-2-Infektion deutlich erhöht.

Bis zu 10% der COVID-Erkrankten können Post-COVID-Symptome entwickeln; das wären in Deutschland mehr als drei Millionen Menschen. Betroffen sind vor allem Frauen mittleren Alters.

Risikofaktoren für ein Post-COVID-Syndrom sind Vorerkrankungen wie Diabetes, Asthma, Adipositas und psychische Krankheiten. Ca. ein Drittel der Post-COVID-Erkrankten hat auch ängstliche und depressive Symptome. Besonders häufig werden von den Betroffenen ein Fatigue-Syndrom, eine Post-Exertional Malaise (PEM; Verschlimmerung der Symptome nach geringer Anstrengung), Brain-Fog („Gehirnnebel“) und Kopfschmerzen angegeben. Es wird zum Beispiel berichtet, dass die Betroffenen sich „wie in Watte gepackt“ fühlen.

Begutachtung des Post-COVID-Syndroms

Als Voraussetzung für die gutachtliche Bewertung gilt, dass eine SARS-CoV-2-Infektion belegt ist. Wenn Schäden der Organe – wie zum Beispiel des Gehirns, des Herzens oder der Lunge – vorliegen, ist die gutachtliche Bewertung oft nicht besonders schwierig. Die Objektivierung und die Bewertung der Kausalität der oft sehr vielgestaltigen subjektiven Beschwerden ist allerdings aufwändig und anspruchsvoll.

Die Erkrankten, welche zunächst einen milden Verlauf der SARS-CoV-2-Infektion ohne Krankenhausaufenthalt hatten, aber dann vielfältige und subjektiv sehr beeinträchtigende, schwer zu objektivierende Beschwerden oft nach einer Latenz von 1 bis 3 Monaten entwickeln, stellen uns gutachtlich vor besondere Probleme.

Daher sollte eine Begutachtung von Post-COVID-Erkrankten immer interdisziplinär erfolgen. Beteiligt sein sollten Neurologen, ggf. Kardiologen und/oder Pulmologen, zudem Neuropsychologen, welche die subjektiven kognitiven Einschränkungen objektivieren und Beschwerdenvalidierungsverfahren durchführen können.

Typische Infektionserkrankungen haben einen Decrescendo-Verlauf mit abnehmenden Symptomen und in der Regel keine zunehmende Beschwerdesymptomatik. Nach SARS-CoV-2-Infektionen sind kognitive Beeinträchtigungen und passend hierzu ein reduzierter Hirnstoffwechsel in Funktionsuntersuchungen des Gehirns in Studien aufgefallen; hierbei waren jedoch keine strukturellen Veränderungen im MRT nachweisbar. Nach sechs Monaten konnten dann deutliche Verbesserungen in den kognitiven Fähigkeiten und im Hirnstoffwechsel festgestellt werden.

Dagegen konnte in verschiedenen aktuellen Studien auch gezeigt werden, dass bei Menschen mit und ohne SARS-CoV-2-Infektion nach 6 Monaten ähnliche Beschwerden bestanden. So entwickelten auch Personen, die nicht infiziert, aber von einer Infektion überzeugt waren, typische Post-COVID-Symptome. Viele subjektive Beschwerden traten damit unabhängig von einer SARS-CoV-2-Infektion auf.

Oft berichten die Erkrankten über heftige, langanhaltende Kopfschmerzen, die jedoch kein typisches Symptom einer SARS-CoV-2 Infektion sind. Kurzfristig können Kopfschmerzen dagegen auftreten.

Das Fatigue bzw. die Erschöpfung ist eine abnorme Ermüdbarkeit, die in der Neurologie gut bekannt ist, so bei Patienten mit Multipler Sklerose. Auch eine Tumor-Fatigue ist bekannt.

Unterschieden wird zwischen der Fatigue, dem subjektiven Gefühl der vorzeitigen Ermüdung, und der Fatigability, der objektiv nachgewiesenen Leistungsminderung. Die kognitiven Fähigkeiten werden in der neuropsychologischen Testung überprüft; die motorische Ermüdung kann bisher nur in nicht standardisierten körperlichen Tests wir Gangprüfungen oder dem Handkrafttest untersucht werden.

Insbesondere die Ergebnisse des Handkrafttests sind durch die Motivation des Probanden beeinflusst. Bei einer Studie der Schmieder Kliniken konnten bei Erkrankten in Laufbandtests keine Gangbeeinträchtigung trotz subjektiver Ermüdbarkeit festgestellt werden. Eine Konsistenzprüfung unter Berücksichtigung aller Befunde ist daher notwendig.

Seelische Störungen wie Ängste und Depressionen können Folge einer SARS-CoV-2-Infektion sein, können aber auch unabhängig davon auftreten und Post-COVID-Symptome imitieren. Wichtig ist, psychische Vorbelastungen und Vorerkrankungen sowie negative Kontextfaktoren wie Überforderungen und psychosoziale Belastungen zu erkennen und abzugrenzen.

Daher ist, wie bereits ausgeführt, eine interdisziplinäre Begutachtung notwendig. Die Infektion muss mit den typischen Symptomen und Folgesymptomen bestätigt sein, der klinische Verlauf muss nachvollziehbar sein, konkurrierende Erkrankungen müssen ausgeschlossen sein. In der Zusammenschau müssen dann alle Aktenunterlagen und die klinischen Befunde schlüssig und konsistent sein.

Therapie des Post-COVID-Syndroms

Therapeutisch ist eine primäre Schonung nur bei Organschäden, wie zum Beispiel einer Herzmuskelentzündung, angezeigt. Eine interdisziplinäre Behandlung durch Hausärzte, Fachärzte, Post-COVID-Ambulanzen und Rehabilitationskliniken mit neuropsychologischem Training, psychotherapeutischer Begleitung und ggf. auch medikamentöser Unterstützung (Naltrexon oder Aripiprazol niedrig dosiert, oder Ginkgo, Lavendelextrakt, SSRI) werden empfohlen. Eine Impfung gegen SARS-CoV-2 verhindert das Risiko eines Post-COVID-Syndroms.

Nicht indiziert sind etwa Behandlungen wie die H.E.L.P.-Apheresen, die hyperbare Sauerstofftherapie oder eine Cannabis-Therapie. Hierfür liegt keine wissenschaftliche Evidenz vor.

Fazit

Die Begutachtung des Post-COVID-Syndroms stellt uns vor große Herausforderungen. Diese sollte interdisziplinär, unter Berücksichtigung der einschlägigen Richtlinien und mit Konsistenzprüfungen erfolgen.

Dr. med. Katrin Weigelt
Fachärztin für Neurologie, Sozialmedizin