Die Telemedizin wird in Zukunft eine wachsende Bedeutung in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung spielen. Bundesärztekammer und das Bundesgesundheitsministerium setzten sich für eine zügigen Ausbau telemedizinscher Angebote ein.
Telemedizin spielte in der Begutachtung in der Vergangenheit keine Rolle. Das IVM hat sich nun die Aufgabe gestellt, die Möglichkeiten der telemedizinischen Begutachtung auszuloten und in geeigneter Form in die gutachtliche Praxis zu integrieren. Nach längerer Vorarbeit wurde mit Unterstützung eines digitalen Sprechstundenanbieters ein eigenes System entwickelt. Die Telegutachten von www.telegutachten.de entsprechen in jeglicher Hinsicht dem medizinischen Datenschutz. Die Datensicherheit war eines der größten Herausforderungen bei der Einführung der Telebegutachtung.
Die ersten hybriden Gutachten wurden im März 2023 erstattet. Hierbei werden die zu Untersuchenden unter Benutzung elektronischer Medien persönlich befragt. Den Ablauf kann man sich analog einer Videokonferenz vorstellen. Auf der Seite der zu Untersuchenden kann als Endgerät ein mobiles Gerät wie ein Handy oder ein Tablet, aber auch ein Computer, benutzt werden. Der Untersucher befindet sich in der Regel im IVM, kann aber auch von jeglichen anderen Orten hinzugeschaltet werden.
Unter Berücksichtigung der Datenschutzbestimmungen wird auf unterschiedliche Weise mit den Probanden in Kontakt getreten; zwingend erforderlich sind jedoch im Vorfeld die Zustimmung zur Videosprechstunde und die Unterzeichnung einer spezifischen Schweigepflichtentbindung. Der Proband bekommt zeitglich einen Link mit den Termindetails, zum Ablauf und der Teilnahme zur Videosprechstunde. Dem untersuchenden (begutachtenden) Arzt sollten vor der telemedizinischen Begutachtung alle relevanten ärztlichen Befunde zur Verfügung gestellt werden.
Ablauf der Telebegutachtung
Am Termin erfolgt dann nach der Verbindungsherstellung eine ausführliche Begrüßung durch die Mitarbeiter des IVM, wobei zunächst auch die Identität des zu Untersuchenden durch Abgleich mit einem Ausweisdokument überprüft wird.
Danach erfolgt die ärztliche Exploration. Hierbei werden in gewohnter Weise die allgemeine und spezifische Anamnese erhoben und die Beschwerden erfragt. Je nach Fragestellung erfolgen ebenfalls eine Berufsanamnese und die Exploration der sozialen Kontextfaktoren. Auch die bereits aktenkundigen Befunde oder die Vorlage weiterer zur Beurteilung benötigter Dokumente oder Bildbefunde können besprochen werden.
Eine körperliche Untersuchung ist allerdings nur sehr eingeschränkt möglich: So können etwa grobe Handfunktionen oder Funktion der oberen Extremitäten demonstriert werden. Eine Untersuchung der Wirbelsäule oder der unteren Extremitäten ist dagegen nicht valide möglich.
Nach der Exploration erfolgen Abfassung und Übersendung des Gutachtens an den Auftraggeber. Den Probanden kann dann eine Kopie des Telegutachtens vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt werden. Die Transparenz der Begutachtung und die Nachvollziehbarkeit der ärztlichen Beurteilung bleiben in jedem Fall gewahrt.
Ergebnisse
Von März 2023 bis März 2025 wurden über 200 Telebegutachtungen durchgefürt. Die überwiegende Anzahl davon entfiel auf das nervenärztlich-psychiatrische Fachgebiet. Eine wichtige Rolle spielten sozialmedizinische, internistisch-allgemeinmedizinische und orthopädisch/unfallchirurgische Fragestellungen.
Die besten Erfahrungen wurden bei der Begutachtung in der Krankentagegeldversicherung gemacht. Erkrankten Versicherten kann der Weg zu einer vertrauensärztlichen Begutachtung erspart werden. Bei unklarer Krankheitsentwicklung könne die Begutachtungen in geplanten zeitlichen Abständen durchgeführt werden. Immer wieder konnten die Probanden konkrete Hinweise zur Behandlung und Rehabilitation gegeben werden.
Geplant ist ein Projekt mit einer gesetzlichen Unfallversicherung zur Vorab-Klärung der Voraussetzungen für die mögliche Anerkennung von Berufskrankheiten.
Vorläufiges Resümee
Die Erfahrungen sind insgesamt positiv. Auch die Rückmeldung der Untersuchten weist auf eine sehr gute Akzeptanz hin.
Im Laufe der Zeit konnten folgende Vorteile und Herausforderungen identifiziert werden:
Vorteile
- Standortunabhängigkeit
Mit Telebegutachtung ist dank Internet-Unterstützung jeder Ort der Welt erreichbar. Längere Anreisen, insbesondere bei schweren Beeinträchtigungen, können vermieden werden.
Die Begutachtung findet in vertrauter Umgebung statt. Das kann insbesondere bei psychischen Erkrankungen die Belastung reduzieren und zu einer authentischeren Gesprächssituation führen.
- Reduzierung der Belastung für die zu Begutachtenden
Insbesondere körperlich und seelisch schwer kranke Probanden können ohne zusätzliche Belastung exploriert werden.
- Zeitnahe Bearbeitung
Durch den Wegfall der Anreise sowie ggf. der Organisation einer Begleitung und des Fehlens am Arbeitsplatz ist eine zeitnahe Beurteilung möglich. An- und Abreise entfallen vollständig. Auch auf Seiten der Gutachter können Ressourcen gezielter eingesetzt werden.
Nachteile bzw. Herausforderungen:
- Technische Probleme
Insbesondere bei älteren und wenig technikaffinen Personen ist die Herstellung einer Verbindung bisweilen herausfordernd und benötigt Unterstützung durch weitere Hilfspersonen. Verbindungsprobleme spielen dagegen eine untergeordnete Rolle.
- Fehlen zwischenmenschlicher Interaktion
Durch die räumliche Trennung und das Sprechen in eine Kamera ist bisweilen eine Verhaltensänderung bei den Probanden zu beobachten. Auch Beobachtungen von Spontanbewegungen und zwischenmenschliche Interaktionen sind nur eingeschränkt möglich.
- Stark begrenzte körperliche Untersuchung
Wie bereits erwähnt ist eine körperliche Untersuchung mit Umfangmessung, Auskultation etc. nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich.
Chancen und Grenzen
Aus den oben genannten Faktoren ergeben sich für die Telebegutachtung günstige Konstellationen. Grundsätzlich ist die Telebegutachtung besser für „sprechende“ Fächer wie Psychiatrie, Neurologie und Onkologie geeignet. Auch die Mund-Kiefer-Gesichts-chirurgische Beurteilung kann durch die Benutzung einer Kamera zuverlässig erfolgen. Allerdings ergeben sich gelegentlich Herausforderungen bei schwer beeinträchtigten Personen.
Außerdem ist eine Telebegutachtung gut geeignet für Verlaufsbeurteilungen etwa im Rahmen der Begutachtung für die private Krankentagegeldversicherung und – in Grenzen – auch für die Berufsunfähigkeitsversicherung (hier nur ausgewählte Fälle).
Durch die ortsunabhängige Begutachtung kann bei speziellen Fragestellungen eine Beurteilung oder Mitbeurteilung durch Spezialisten bei seltenen Fragestellungen erfolgen.
Ihre Grenzen hat die Telebegutachtung in allen Fällen, bei denen eine eingehende körperliche Untersuchung unumgänglich ist. Somit ist eine orthopädisch-unfallchirurgische Beurteilung allenfalls eingeschränkt oder im Sinne einer Verlaufsbeurteilung bzw. als Ergänzung zu Gutachten nach Aktenlage möglich.
Perspektive
Die Telebegutachtung ermöglicht es, bei bestimmten Fallkonstellationen oder Fragestellungen in direkten Kontakt mit den zu Untersuchenden zu treten und eine Untersuchungssituation herzustellen, die nahe an die Präsenzbegutachtung heranreicht. Telebegutachtung ist eine sinnvolle Ergänzung der Präsenzbegutachtung, welche auch weiterhin den „Goldstandard“ darstellt. Sie ist allerdings weitaus aussagekräftiger als eine Begutachtung nach Aktenlage, bei dem der Betroffenen nicht zu Wort kommt und sich mit Recht übergangen fühlen kann.
Die bisherigen Erfahrungen ermöglichen es, im Vorfeld abzuschätzen, ob eine Telebegutachtung möglich und erfolgversprechend ist. Die Telebegutachtung ist eine neue, moderne Möglichkeit der Begutachtung. Sie ist komfortabel für die Versicherten und ermöglicht dem Auftraggeber, nach einer medizinischen Expertise Leistungen zu gewähren.
Haben Sie Interesse an der Telebegutachtung?
Sprechen Sie uns an: www.telegutachten.de
Tanja Ahlbrand
Geschäftsführerin des IVM
Institut für Versicherungsmedizin, Frankfurt
Dr. Robert Hartel
Facharzt für Chirurgie, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie
Institut für Versicherungsmedizin, Frankfurt
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