Das Schmerzensgeld und seine Bemessung im konkreten Haftpflichtfall war ein wichtiges Thema auf dem Seminar des IVM zur Begutachtung und Entschädigung von Personenschäden im Haftpflicht- und Sozialrecht am 6. September 2023 in Frankfurt. Zu dieser Thematik sind in den vergangenen Jahren mehrere Urteile, auch des Bundesgerichtshofs, ergangen.

Hier eine Auswahl, auch zur zunehmenden Höhe des Schmerzensgelds bei Behandlungsfehlern mit schwersten Folgeschäden:

Grundlegende Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH)

1. Bemessung des Schmerzensgeldes

Die Grundlagen, nach denen sich die Höhe des Schmerzensgeldes bemisst, erläuterte der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 15.2.2022 (AZ: VI ZR 937/20; „Versicherungsrecht“ Heft 11/2022; S. 712-716):

  • Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Dabei geht es nicht um eine isolierte Schau auf einzelne Umstände des Falles, sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls.
  • Dabei ist in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt.

Kritik übte der BGH in diesem Urteil an der Methode der sog. „taggenauen Berechnung“ des Schmerzensgeldes, wonach sich dessen Höhe in einem ersten Rechenschritt – unabhängig von der konkreten Verletzung und den damit individuell einhergehenden Schmerzen – aus der bloßen Addition von Tagessätzen ergibt, welche nach der Behandlungsphase (Intensivstation, Normalstation, stationäre Reha-Maßnahme, ambulante Behandlung zuhause, Dauerschaden) und der damit regelmäßig einhergehenden Lebensbeeinträchtigung gestaffelt sind.

Ein solches schematisches Vorgehen ist jedoch nicht zulässig, kritisierten die Karlsruher Richter: Die schematische Konzentration auf die Anzahl der Tage, die der Kläger auf der Normalstation eines Krankenhauses verbracht hat und die er nach seiner Lebenserwartung mit der dauerhaften Einschränkung voraussichtlich noch wird leben müssen, lässt wesentliche Umstände des konkreten Falles außer Acht. So bleibt unbeachtet, welche Verletzungen der Kläger erlitten hat, wie die Verletzungen behandelt wurden und welches individuelle Leid bei ihm ausgelöst wurde. Gleiches gilt für die Einschränkungen in seiner zukünftigen individuellen Lebensführung.

2. Schmerzensgeld auch für vorhersehbare Schadensfolgen

Verlangt ein Geschädigter für eine erlittene Körperverletzung uneingeschränkt ein Schmerzensgeld, so werden durch den Klageantrag nicht nur die Schadensfolgen erfasst, die bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren, sondern auch diejenigen, deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte, erklärte der BGH mit Urteil vom 10.7.2018 (AZ: IV ZR 259/15; „Versicherungsrecht“ Heft 23/2018; S. 1462-1463). Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes gebietet, die Höhe des zustehenden Schmerzensgeldes aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen.

Daher hatte sich das (vorher zuständige) Berufungsgericht bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht darauf beschränken dürfen, hinsichtlich der Schmerzsymptomatik nur diejenigen Verletzungsfolgen zu berücksichtigen, die bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bereits tatsächlich eingetreten waren, kritisierte der BGH. Das Berufungsgericht werde daher zu klären haben, worauf die behaupteten fortdauernden Beschwerden, insbesondere die Schmerzsymptomatik, beruhen und wie sie sich auf die Höhe des einheitlich zu bemessenden Schmerzensgeldes auswirken. Der medizinische Sachverständige war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts davon ausgegangen, dass insbesondere die Schmerzsymptomatik weiterer Abklärung zugänglich sei. Der Kläger habe sich den vorgeschlagenen weiteren (unfallchirurgischen bzw. auch psychosomatischen) Untersuchungen aber noch nicht unterzogen. Dies werde nachzuholen sein, erklärte der BGH.

3. Arzthaftung: Bemessung des Schmerzensgeldes bei Behandlungsfehler aufgrund grober Fahrlässigkeit

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes in Arzthaftungssachen kann der Gesichtspunkt der Genugtuung gerade bei grober Fahrlässigkeit nicht grundsätzlich außer Betracht bleiben, erklärte der BGH mit Urteil vom 8.2.2022 (AZ: VI ZR 409/19; „Versicherungsrecht“ Heft 10/2022, S. 635-638). Auch wenn bei der ärztlichen Behandlung das Bestreben im Vordergrund steht, dem Patienten zu helfen und ihn von seinen Beschwerden zu befreien, stellt es unter dem Blickpunkt der Billigkeit einen wesentlichen Unterschied dar, ob dem Arzt grobes – möglicherweise die Grenze zum bedingten Vorsatz berührendes – Verschulden zur Last fällt oder ob ihn nur ein geringfügiger Schuldvorwurf trifft. So kann ein dem Arzt aufgrund grober Fahrlässigkeit unterlaufener Behandlungsfehler dem Schadensfall sein besonderes Gepräge geben.

Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass grobe Fahrlässigkeit nicht bereits dann zu bejahen ist, wenn dem Arzt ein grober Behandlungsfehler unterlaufen ist, erläuterte der BGH. Ein grober Behandlungsfehler ist weder mit grober Fahrlässigkeit gleichzusetzen noch kommt ihm insoweit eine Indizwirkung zu. Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.

Ein objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertigt für sich allein jedoch noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes persönliches Verschulden, führten die Karlsruher Richter aus. Vielmehr ist ein solcher Vorwurf nur dann gerechtfertigt, wenn eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt. Damit sind auch Umstände zu berücksichtigen, welche die subjektive, personale Seite der Verantwortlichkeit betreffen, und konkrete Feststellungen nicht nur zur objektiven Schwere der Pflichtwidrigkeit, sondern auch zur subjektiven Seite zu treffen.

Demgegenüber kommt es für die Frage, ob ein grober Behandlungsfehler vorliegt, der zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Ursächlichkeit dieses Fehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden führen kann, auf den Grad subjektiver Vorwerfbarkeit gegenüber dem Arzt nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob dem Arzt ein Fehler unterlaufen ist, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Maßgeblich ist damit nur, ob das ärztliche Verhalten eindeutig gegen gesicherte und bewährte medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen verstieß, führte der BGH aus.

Denn die Annahme einer Beweislastumkehr nach einem groben Behandlungsfehler ist keine Sanktion für ein besonders schweres Arztverschulden. Sie hat ihren Grund vielmehr darin, dass das Spektrum der für den Misserfolg der ärztlichen Behandlung in Betracht kommenden Ursachen gerade wegen des Gewichts des Behandlungsfehlers und seiner Bedeutung für die Behandlung in besonderem Maße verbreitert und die Aufklärung des Behandlungsgeschehens deshalb in besonderer Weise erschwert worden ist, so dass der Arzt dem Patienten den Kausalitätsbeweis nach Treu und Glauben nicht zumuten kann.

Instanzgerichte: Hohes Schmerzensgeld bei Behandlungsfehlern mit schwersten Folgeschäden

Im Fall schwerster und dauerhafter Schädigungen, die der Geschädigte in jungen Jahren bewusst erlebt und von denen anzunehmen ist, dass sie ihn lebenslang in der Lebensführung erheblich beeinträchtigen werden, kann ein Schmerzensgeld von 800.000 Euro angemessen sein, erklärte das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg mit Urteil vom 18.3.2020 (AZ: 5 U 196/18; „Versicherungsrecht“ Heft 22/2020; S. 1468-1472). Das Bewusstsein um den Verlust der bisherigen Lebensqualität und die voraussichtlich lebenslange Dauer der Schädigungen sind maßgebliche Gesichtspunkte bei der Bemessung des Schmerzensgeldes, heißt es in den amtlichen Leitsätzen zu diesem Urteil weiter.

Zu entscheiden war der Fall eines im Jahr 2011 fünf Jahre alten Jungen (des Klägers), der mit Fieber und Schüttelfrost in das Krankenhaus der Beklagten gebracht worden war. Dort kam es zu einem (zwischenzeitlich gerichtlich bestätigten) groben Behandlungsfehler, weil der zuständige Pfleger in der Nacht die Hinweise auf eine massive Verschlechterung nicht erkannte und auch keinen Arzt hinzuzog. Tatsächlich hatte sich eine Meningokokken-Sepsis mit einem Waterhouse-Friderichsen-Syndrom und Purpura fulminans mit hämorrhagischen Nekrosen ausgebildet.

Nach zunächst mehrwöchiger, lebensrettender Akutversorgung der Sepsis mussten dem Kind dann beide Unterschenkel amputiert werden. Bis zur mündlichen Verhandlung vor dem OLG musste sich der Kläger 16-mal einer schmerzhaften operativen Revision der Stümpfe unterziehen. Wie viele weitere solche Operationen zumindest bis zum Ende des Körperwachstums noch erforderlich seien, lasse sich nicht abschätzen, so die Oldenburger Richter. Zudem war der Kläger nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft und Handwerkskunst für die Fortbewegung dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen.

Wegen des großflächigen, nicht mitwachsenden Narbengewebes der Haut werden ebenfalls bis zum Ende des Körperwachstums Anpassungsoperationen unter Vollnarkose notwendig sein, von denen bisher 7 erfolgt sind. 20 bis 50 solcher Korrekturoperationen könnten nach Ansicht der Behandler weiter notwendig werden. Außerdem musste der Kläger wegen der Narben für dreieinhalb Jahren einen Ganzkörperkompressionsanzug mit Gesichtsmaske für täglich 22,5 Stunden tragen. Große Teile der Körperoberfläche des Klägers waren durch Narben entstellt, was auch eine dauerhafte körperliche Beeinträchtigung der oberen Extremitäten zur Folge hatte.

Der Kläger litt zudem – nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen – unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Als Traumafolgen bestanden mangelndes Selbstbewusstsein, motorische Unruhe, eine deutlich reduzierte Ausdauerspanne und eine deutlich reduzierte Frustrationstoleranz. Zudem sei für die Zukunft, insbesondere die Pubertät, mit einer Steigerung des psychologischen Krankheitsverlaufs zu rechnen, erklärte der Sachverständige.

Grund dafür, das Schmerzensgeld „im oberen Bereich des zur Verfügung stehenden Rahmens“ anzusetzen, war – neben dem Ausmaß der Schädigung – die Tatsache, dass der Kläger diese Schädigung im Alter von fünf Jahren erlitten hatte. In diesem Alter hatte er aber gerade die notwendige Reife erlangt, den Verlust in seiner Gesamtheit zu begreifen und unter ihm zu leiden, wobei er gleichsam sein gesamtes Leben noch vor sich hat, begründeten die Oldenburger Richter ihre Entscheidung. Sie bestätigten damit das vorhergehende Urteil des Landgerichts, welches mit dem Betrag von 800.000 Euro ein dem Einzelschicksal des Klägers angemessenes Schmerzensgeld zuerkannt hatte.

Dass in Deutschland in Haftungsfällen bei Behandlungsfehlern mit schwersten Schädigungsfolgen zunehmend hohe Schmerzensgelder verhängt werden, zeigt ebenfalls ein Urteil des Landgerichts (LG) Limburg vom 28.6.2021 (AZ: 1 O 45/15, nicht rechtskräftig; „Versicherungsrecht“ Heft 6/2022, S. 381-385).

Im zu beurteilenden Fall war es Ende 2011 durch fahrlässiges Verhalten einer Kinderkrankenschwester im Rahmen einer intravenösen Antibiose bei einem 14 Monate alten Jungen durch Aspiration von nicht erkannten Nahrungsresten im Mund und anschließendem Schütteln des Kindes zu einem schweren hypoxischen Hirnschaden gekommen. In der Folge konnte sich der Patient kaum bewegen, nicht sprechen und litt unter einer Intelligenzminderung und unter Angstzuständen.

Selbst wenn der Kinderkrankenschwester allenfalls leichte Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden konnte und der Schaden bei einem Routinevorgang entstanden war, der so auch vielen anderen Kinderkrankenschwestern hätte passieren können, wurde die beklagte Klinik zu einem Schmerzensgeld von einer Million Euro verurteilt, welches – so das LG – ja von der Haftpflichtversicherung abgesichert sei.

Dr. Gerd-Marko Ostendorf
Versicherungsmediziner